Cirque du Soleil

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Über Fire Emblem, den Medienzirkus und Geschlechterbilder in Videospielen

In letzter Zeit haben wir immer wieder von Veränderungen gehört, die von der Übersetzung von Japan zum Westen auf Grund von kulturellen Unterschieden getätigt werden mussten. Auch der neueste Ableger des Strategiespiels Fire Emblem blieb nicht verschont. Die erstmalige Möglichkeit der gleichgeschlechtlichen Ehe unter Kämpfereinheiten wurde zwar beibehalten, doch diverse Szenen so wie ein Streichel-Minispiel - welches an eine menschliche Version des PokémonAmi erinnert – wurden entfernt.

Dass einige Szenen in anderen Kulturkreisen negativ ankommen können bestreitet niemand. Doch gerade um die Figur Soleil wurden viele Falschinformationen gestreut. In letzter Zeit haben auch viele deutsche Medien außerhalb der Fachpresse diese Fehlinformationen einfach unreflektiert aufgenommen. Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, diese ganz besondere Dame näher zu beleuchten und zugleich über die Geschlechterbilder in Rollenspielen zu reflektieren…

Birdette Butler – Nintendo und Transgender-Identitäten

Japaner hatten schon immer eine etwas andere Interpretation von Geschlechterrollen, als sie im Westen üblich sind. Lange vor Conchita Wurst und Caitlyn Jenner schlüpfte bereits Bossgegner „Birdo“ in Super Mario Bros. 2 in eine Zwischenrolle: Im Original-Booklet wird der Charakter noch als männliches Wesen beschrieben, welches jedoch glaubt, eine Frau zu sein. Ebenso möchte „sie“ auch lieber „Birdetta“ (im englischen "Birdette") genannt werden.

Im Gegensatz zu „Caitlyn Jenner“ hat sich der Name „Birdetta“ aber nicht durchgesetzt. Aus späteren Ausgaben des amerikanischen Booklets wurde die Geschlechterfrage entfernt, was sich später in der unpräzisen Gender-Identität des rosa Dinosauriers widerspiegelt: In Mario Tennis wurde sie noch als Yoshis Freundin vermarktet (welcher aber als eierlegende Echse ebenso seine Fragen aufwirft…) und wurde von Peachs Stimme Jen Taylor für Super Mario Advance eher feminin eingesprochen.

Später wurde sie dann aber einerseits wieder mit „nicht identifiziertem Geschlecht“ und geschlechtsneutralen, eher tierischen Lauten dargestellt, andererseits im japanisch-exklusiven Captain Rainbow (und interessanterweise in der europäischen Profilbeschreibung von Mario Strikers Charged) wieder eindeutig als Mann aufgeführt… Ein rosa Dino-Mann mit Diamantring am Finger, Wimperntusche auf den Augen und einer Masche auf den Kopf.

Heute sind grenzüberschreitende Gender-Identitäten in Nintendo-Spielen zwar noch immer ein eher schwieriges Thema, aber zumindest in der Realität schon lange nichts Neues mehr: In den 90ern formierte sich in den amerikanischen „Cultural Studies“ die sogenannte „Queer-Theory“, die davon ausging, dass diese Rollenbilder nicht natürlich sind, sondern gemacht werden. Judith Butler definierte es wie folgt: Das englische „Sex“ ist das biologische gegebene Geschlecht – mit den biologischen Chancen und Grenzen, die bestehen. Das englische „Gender“ bezeichnet hingegen das kulturell kodierte Rollenbild, welches durch Belohnung oder Bestrafung bzw. schlichtem ignorieren gefördert oder gehemmt wird.

Birdo… pardon: Birdetta identifiziert sich daher nicht als Mann und hat für sich selbst entschieden, lieber eine Frau sein zu wollen, da dies eher ihrer eigenen Identität entspricht.

Originaleintrag aus der amerikanischen First Print Edition zu Super Mario Bros. 2

Ikeback Mountain – Gleichgeschlechtliche Beziehungen in Fire Emblem

Doch was hat ein geschlechtsverwirrter Dinosaurier nun mit dem neuen Fire Emblem: Fates zu tun? Nun… in gewisser Weise alles und auch nichts: In der neuesten Episode des Strategiespiels ist es nun zum ersten Mal möglich eine gleichgeschlechtliche Liebesbeziehungen einzugehen. Die homo-erotische Note selbst ist nicht neu: Wenn auch nur in Andeutungen führte Tharjas unbändige Liebe zum Spieler-Avatar in Awakening zu zweideutigen Bemerkungen, wenn die Figur weiblich war – ein S-Rang und gemeinsame Kinder blieben ihr aber verwehrt.

Auch Heather aus Radiant Dawn war eine Frau, die keine Männer mag und der Armee beitrat, um „deren hübsche Frauen kennen zu lernen“. In einem Interview wurde bestätigt, dass sie tatsächlich als lesbisch angedacht wurde. Als Erklärung führte man auch statt möglicher Freud’scher Erklärungen zu einem Männerhass auch einfach an, dass sie „vielleicht einfach so geboren sei“. (Quelle: Nintendo (japanisch))

Ebenso erregten die wenigen weiblichen Romantikoptionen für Ike - dessen enge Beziehung zu Soren und die möglichen Enden, die ausschließlich mit anderen Männern geteilt werden konnten - die Skepsis vieler Fans, ob Ike nicht heimlich homo- oder zumindest bisexuell war. Ähnliche Lesemöglichkeiten sieht man in Legault und Heath bzw. Lucius und Raven in dem Japan-exklusiven Blazing Sword. Letztere Deutung wurde zumindest im offiziellen Guide Book erwähnt. Die tiefe Freundschaft bzw. Dreiecksbeziehung zwischen Ephraim, Lyon und Eirika liess in Sacred Stones ebenso Raum für offene Interpretationen.

Neu ist in Fates hingegen, dass zumindest zwei Charaktere – eine/r für jedes Geschlecht – die Hauptfigur des Spiels auch dann heiraten können, wenn sie des gleichen Geschlechts sind. Zwar gibt es je Edition nur eine der beiden Figuren und die sonstigen Heiratsoptionen der Figur sind heterosexuell… aber zumindest besser als nichts. Diese wurden nun auch in den Westen übernommen. Immerhin hat Amerika im letzten Jahr die gleichgeschlechtliche Ehe für alle Staaten gesetzlich erlaubt. Damit sollten wir doch bisherige Geschlechterbilder überwunden haben, oder?

Ike sagt Soren, dass er ihn braucht

Cirque du Soleil – Der Medienzirkus um eine vermeintliche Reparationstherapie

”Making changes is not unusual when we localize games, and we have indeed made changes in these games. When we localize a game we do so in order to make it appropriate for that particular territory. All our choices were made from that point of view. […] In the version of the game that ships in the U.S. and Europe, there is no expression which might be considered as gay conversion or drugging that occurs between characters.”

Damit begründet Nintendo die Änderung eines umstrittenen Dialoges, der im Vorfled für ein großes Medienecho sorgte. Wer mögliche Spoiler umgehen möchte, sollte hier nun aufhören diese Kolumne zu lesen, doch das mediale Konstrukt über diese Änderung lässt sich nur entwirren, wenn wir all die vorhandenen Informationen begutachten. Zudem sei hier gesagt, dass hier nur Fan-Übersetzungen verglichen und Informationen aus dritter Hand eingeholt wurden, um eine möglichst neutrale Interpretation heraus zu filtern – eine offizielle deutsche Übersetzung wurde zum Zeitpunkt des Schreibens noch nicht veröffentlicht, und die facettenreiche Persönlichkeit von Soleil lässt sich ohne Japanischkenntnisse durch die vielen Nebenstränge nur schwer aus erster Hand entschlüsseln.

Wie schon in Awakening ist es in Fates möglich, Beziehungen und somit Kampfboosts zu verstärken, in dem man Charaktereinheiten nebeneinander platziert und optionale, rein text-basierte Dialoge freischält, die zwar Hintergrundinformationen zu Figuren an den Tag legen, auf die eigentliche Handlung aber keinen Einfluss haben. Man kann mit mehreren Einheiten befreundet sein, doch nur mit einer Person kann man einen S-Rang und somit eine Verlobung durchführen. Welche Einheiten Paare bilden bleiben – unter den vorgegebenen Möglichkeiten – den SpielerInnen überlassen

Punkt der Aufregung ist hierbei eine Dialogkette, in der die Kämpferin Soleil vom männlichen Spieleravatar “unwissentlich unter Drogen gesetzt wird”, mit welcher sie dann für begrenzte Zeit Männer als Frauen und Frauen als Männer sieht. Doch nicht nur das: Am Ende der Dialogkette heiratet sie den Avatar auch noch „in den sie sich verliebt hat, als er für sie noch eine Frau war“. Wurde hier etwa eine Konversionstherapie, wie sie etwa auch in erzkonservativen Staaten von religiösen Umerziehungslagern vorgenommen werden? Der (unreflektierte) mediale Aufschrei diverser Blogs war groß, so groß, dass auch außerhalb der Fachpresse diese Nachricht aufgegriffen wurde. Reißerische Medien sagten Nintendo sogar Homophobie nach und KommentatorInnen beklagten entweder die Darstellung der Aussage „Homosexualität sei heilbar“ und begrüßten die Änderung oder sie jammerten über die Einschränkung der künstlerischen Freiheit und ihrer Wahl als SpielerIn.

Soleil sieht etwas... nun ja... lüstern aus

Soleil de Beauvoir – Man wird nicht als Frau geboren, man wird zur Frau gemacht

Was hat Soleil mit einem rosa Dinosaurier gemeinsam? Sie sieht zwar wie eine Frau aus, allerdings überschreitet sie in ihrem Verhalten typisch westliche Rollenklischees. Sie genießt zwar die Nähe süßer Mädchen und verwendet typisch männliche Anmachsprüche, doch folgende, durchaus auch für ihre KollegInnen verwirrende Tatsache erschüttert das Konstrukt des oben genannten Medienzirkus:

Soleil hat KEINE weiblichen Love-Supports. Der einzig lesbische Charakter ist Rhajat. Soleils tatsächliche sexuelle Neigung wurde falsch beurteilt.

Soleil ist insofern eine besondere Figur, als dass sie selbst als coole Frau daher kommen möchte. Dabei kopiert sie das Verhalten ihres Vaters, der oberflächlich gesehen ein Frauenheld ist, bei tatsächlichen Gefühlsregungen aber sofort schüchtern wird. Bei Soleil geht dies sogar so weit, dass sie ohnmächtig wird, wenn es zu heiß wird. Hierin gibt es auffällige Ähnlichkeiten zu den Awakening-Charakteren Inigo und dessen Mutter Olivia, was durchaus kein Zufall ist: Fire Emblem greift immer wieder beliebte Elemente auf und verwendet sie in späteren Spielen erneut.

Soleil wendet sich nun mit dieser Schwäche an den Spieleravatar – immerhin kann es auf dem Kampffeld zum Problem werden, wenn eine Einheit einfach so ohnmächtig wird, weil die Gegnerin zu hübsch ist. Der flößt ihr nun ein Pulver ein, allerdings ohne ihr Einverständnis. Dies ist natürlich höchst problematisch – insbesondere für die moralische Vorbild-Instanz des „Helden“ – doch im Gegensatz zur medialen Darstellung hat dies hier weder mit einem Liebestrank, noch mit der sexuellen Umpolung von Soleil zu tun: Der Held offenbart ihr gleich nach der Wirkung, was er getan hat, und versucht fortan im „Spezialtraining“ mit ihr die Ohnmachtsunfälle unter Kontrolle zu bringen.

Aus diesen Übungen entwickeln sich nun tiefere Gefühle, und der Satz „Ich habe mich in dich verliebt, als du eine Frau warst“ und „Ich muss mir keine Sorgen machen, dass du bei anderen Männern bist“ stiften hier natürlich für Verwirrung. Jedem bleibt natürlich die eigene Interpretation dieser Zeilen offen. Doch man sollte hier auch Bedenken, dass hier jene Lesart wahrscheinlicher wäre, dass sich Soleil in die Person und nicht das Geschlecht verliebt hat. (Wer den ganzen Text selbst lesen möchte, kann hier eine Übersetzung lesen.)

Sie wusste bis auf den ersten Augenblick stets, dass der Spieleravatar ein Mann war, der für sie die Frau spielt. Der Antrag wird ebenfalls von ihm gestellt, und das auf eine Weise, bei der sie leicht Nein sagen hätte können. Selbst das Angebot „ihre Brust anzufassen“ (nicht um sie zu begrapschen, sondern um zu fühlen, dass ihr Herz auch für seine männliche Version rast) lehnt er ab – sie seien ja gerade erst verlobt und er wolle (vermutlich wegen der impliziert sexuellen Konnotation) doch noch bis zur Hochzeit damit warten.

Conclusion? - Fazit?

Was kann man hiervon also mitnehmen?

Man kann dem Spiel nachsagen, dass das Fire EmblemAmi-Minispiel eher in eine Dating Sim als in ein Strategiespiel gehört.
Man kann dem Spiel nachsagen, dass im Gegensatz zu bspw. Mass Effect die Wahl eines gleichgeschlechtlichen Partners keine Wahl ist, wenn es nur eine Option gibt – die zudem noch an die „Edition“ gebunden ist. Denn bis auf den Avatar sind alle Verlobungs-Optionen der beiden tatsächlich bisexuellen Figuren heterosexuell.
Man kann dem Hauptcharakter nachsagen, unmoralisch gehandelt zu haben, indem er Soleil ohne ihr vorheriges Einverständnis ein bewusstseinsveränderndes Mittel verabreicht hat, um ihr zu helfen. Als moralisches Vorbild durchaus kein edles Verhalten… aber durch die schnelle Auflösung und die weniger berauschende Bewirkung des Mittels wird die Tat doch auch eher relativiert.
Man kann den Entwicklern nachsagen, mit diesem Pulver die sexuelle Fantasie anzudeuten, in der man durch Zaubermittel und Schauspiel zur Frau werden kann, um mit einer anderen ein romantisches Verhältnis einzugehen, ohne den eigenen Körper dabei zu wechseln.

Doch eine tatsächliche Umpolung von Soleil scheint durch die Verhaltensverwandtschaft zu Inigo und die fehlenden weiblichen Love-Supports eher ein Zitat als eine tatsächliche sexuelle Orientierung zu sein. Soleil gehört demnach in ein graues Rollenbild, welches zwar äußerlich eine Frau ist, aber innerlich die Werte eines Mannes kopiert. Genau wie die transsexuelle „Birdette“ gehört dieses Schema in Japan – mit ihren Yaoi- und Yuri-Romanen und den vielen Identifikationsbildern dazwischen - eher zur Narrativen Realität als im Westen und führt dadurch zu Verwirrrungen. Verwirrungen, für die die westlichen Medien wohl noch nicht bereit sind.

verfasst von „Benjamin A.“

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Letzte Aktualisierung: 13.02.2016, 15:56 Uhr