[22.12.] Ode an die Big Boxen, Strophe 7: Lufia

[22.12.] Ode an die Big Boxen, Strophe 7: Lufia

Europäische Fans rundenbasierter, japanischer Rollenspiele wurden zu SNES-Zeiten rein zahlenmäßig nicht gerade verwöhnt: Mystic Quest Legend (aus Episode 1 der Ode), das (nicht deutsch übersetzte) Breath of Fire 2 sowie das heute besprochene Lufia – das war´s eigentlich schon. Ich für meinen Teil konnte BoF2 erst wesentlich später nachholen, weshalb letzteres nach MQL mein zweites Japano-RPG überhaupt war – und mich doch ziemlich massiv beeindruckte.

Vorrangig, da es sich dabei keineswegs um ein nettes, aber weichgespültes und eher simples Anfänger-Rollenspiel wie Mystic Quest Legend handelte: Begehbare Weltkarte anstatt sich von Ort zu Ort zu klicken, vier statt zwei Party-Mitglieder, versteckte, auflevelbare Kampftierchen als Verstärkung (welche im Nachhinein stark an Pokémon erinnern), Unmengen an (teils fast schon zu) knackigen Puzzles, Gegner und Bosse, die ordentlich austeilen konnten: Von Anspruch und Variantenreichtum überflügelte der Titel, welcher in Übersee eigentlich schon der zweiter Teil einer Serie war, MQL in jeder Beziehung – allenfalls in der Musik, welche in Squares Einsteiger-RPG schon großartig war, wurde „lediglich“ ein Patt erzielt.

Ein ganz massiver Unterschied zu den meisten anderen Spielen des Genres ist, außerhalb der Kämpfe, die Nähe zum Action-Adventure-Genre, respektive das massiv von Zelda abgekupferte Item-Arsenal und dessen Nutzung: Gegner rennen in den Dungeons umher und können mit Pfeil und Bogen in Schach gehalten werden (Kämpfe starten erst bei Berührung, Random Encounters existieren nur auf der Weltkarte), mit dem Schwert dürfen Grasbüschel abgemäht werden, Bomben sprengen Wände und der Enterhaken hilft beim Überwinden von Abgründen – durch dieses umfangreiche Inventar fallen die Rätsel wesentlich variantenreicher und komplexer aus als im typischen J-RPG.

Dafür sind sie jedoch meist bei weitem nicht so „natürlich“ in die Umgebung eingebaut, wie es etwa in den Zelda-Dungeons der Fall ist: Dass etwa in einem Tempel zwecks Türöffnung eine Othello-Variante gespielt werden muss, okay, aber doch etwas strange, dass andersorts der Weg erst dann weitergehen kann, wenn neun enorm schnell nachwachsende Grasbüschel mit Einsatz von Feuerpfeilen gestutzt werden sollen...was ein verdammt kompliziertes Muster zur Rätsellösung nach sich zieht; ich kam damals nach ewig langem Herumprobieren nur mit Hilfe der Nintendo Hotline weiter...

Gades nimmt über weite Teile der Story die Rolle des Oberschurken ein und läuft der Heldengruppe immer wieder über den Weg – doch ist er nur einer von vier Höllenfürsten und seine dämonischen Verbündeten sind noch mächtiger...

Keine großen Überraschungen dagegen in den Kämpfen – das streng rundenbasierte System funktioniert gut und hebt sich nur in geringem Maße durch die „Zornpunkte“ von Genre-Konkurrenten ab: Wer Treffer einstecken muss, dessen ZP-Leiste füllt sich und bewirkt, dass mächtige „Zornattacken“ einsetzbar werden, deren Verfügbarkeit von den momentan getragenen Waffen und Austrüstungsgegenständen abhängt (deswegen heißen die ZP in der englischen Version auch IP, „Item Points"). Die Monster sind hier grafisch übrigens meist detailliert und technisch ansprechend gelungen, genauso wie die Magie-Effekte (Zaubersprüche werden übrigens unüblicherweise in Shops gekauft).

Eigentlich also alles im grünen Bereich – nur bei der Story ist es wieder ein wenig Zeit für Nörgeleien: Zwar wächst einem die Party um Monsterjäger Maxim sehr ans Herz, es gibt viele im Gedächtnis bleibende Subplots (die teils auch stark die Beziehungen der Charaktere untereinander betreffen) und auch die Oberschurken fallen kultig aus, aber wie schon bei Illusion of Time bleibt die übergreifende Geschichte etwas dünn: Die vier alle 100 Jahre zurückkehrenden Höllenfürsten der Zerstörung, des Chaos, des Todes und des Terrors tauchen auf, um ebensolchen über die Welt zu bringen, und eine Heldentruppe versucht, dies zu verhindern – Ende. Klar gibt’s auch die eine oder andere Wendung, doch kommt der Plot doch etwas simpel, gerade wenn man wie ich direkt vor Lufia Terranigma gespielt hat.

Trotzdem ist Taitos Werk ein famoses RPG und eines der besten der 16Bit-Ära, an dem der Zahn der Zeit kaum genagt hat (schade, dass es noch keinen Weg auf die Virtual Console gefunden hat) – schon gar nicht an dem fantastischen Soundtrack: Gerade die (End-)Bosskämpfe sind diesbezüglich wahre Highlights. Und auch wenn wieder mehr typische (von den Übersetzern gewollte) Stilblüten drinstecken als in Terranigma – wenn man in einer Kirche von dem Priester mit „Holerö und Hallo!“ begrüßt wird, kommt es doch etwas komisch – hat Herr Moyse auch diesmal wieder einen guten Job bezüglich der Lokalisierung gemacht (und ich finde immer noch, dass „Höllenfürst“ wesentlich cooler als „Sinistral“ klingt, wie die bösen Herrschaften im Original genannt werden).

Apropos Übersetzung: Dass Boris, der „treue Lehrling“ des „großen Diebes“ Berti eigentlich eine Gansterbraut und die Elfe Artea (immerhin eine der sieben spielbaren Charaktere) tatsächlich ein Er ist, scheint Claude allerdings nicht realisiert zu haben – er dürfte aber auch nicht der einzige Übersetzer gewesen sein, dem dieser Lapsus unterlief; auch in der US-Version des Lufia-Vorgängers ist die Situation zumindest nicht eindeutig. Erst im kürzlich erschienenen DS-Remake „Curse of the Sinistrals“ (leider noch kein Termin für Europa in Sicht) wurde auch dem Westen klar gemacht, dass es „die Elfin Artea“ nicht gibt – weil diese wesentlich actionreichere Version des RPG-Klassikers Sprachausgabe enthält, wären die Übersetzer beim Beibehalten des Status quo auch in Erklärungsnotstand geraten, da sich die Stimme des Spitzohrs für eine Dame doch verdammt tief anhört...

verfasst von „OldMacMario“

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Letzte Aktualisierung: 22.12.2010, 16:42 Uhr